Die BAYER AG war von 1978 bis zu meiner Pansionierung meine Arbeitswelt. Ich fand diese Firma gut, weil ich meine praktischen wie theoretischen Kenntnisse voll und ganz einsetzen konnte, und das Feedback aus den meisten Betrieben mich auch dazu motivierte. Man machte Konzepte mit den Betriebsmeistern und der Verfahrenstechnik und setzte diese dann in Steuerungen um. Die besondere Struktur der Technika verlangte variable Batchsteuerungen und EX-Terminals für die Prozessleittechnik. Mit Dr. K. aus UER habe ich Anfang der 80ger Jahre hierzu werksinterne Veröffentlichungen gemacht.
Dann wurde die Spitze der Abteilung durch einen Professor besetzt, der das gleiche Problem erst mal akademisch anging mit einer großen Zahl von neueingestellten Jungakademikern und Docktoranten, meistens Physiker, ohne jede praktische Erfahrung. Wir Praktiker wurden reihenweise "abgewatscht" und für unfähig erklärt. Auch das Kliema in unserer Abteilung verschlechterte sich. Aber die neuen Herren mussten ja auch Konzepte umsetzen, dass verlangte die Produktion. Man konnte sehr schnell sehen, wie ein Vorhaben nach dem Andern scheiterte. Dann passierte ende der 80ger das, was alle schon kommen sahen. Der Professor mit seinem Anhang flog aus der Firma, und die Abteilungen wurden umstrukturiert. Im Ausland, wo ich gerade arbeitete, wurde das Ganze mit hönischem Gelächter quittiert, denn auch hier war er schon auf Unverständnis gestoßen.
Meine EX-Terminals (wie Bild 30) durfte ich dann in den 90ger Jahren realisieren.
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Technika, Batchprozesse und EX-Terminal was ist das?
Wer Medikamente produzieren will, kann das nicht sofort vom Reagenzglas aus in einer großen Conti-Produktion tun. Man muss erst verfahrenstechnische Erfahrungen mit den neuen Stoffen und den Herstellapparaturen machen. Zum anderen braucht man vor Markteinführung größere Wirkstoffmengen, um das neue Produkt auf Marktgängigkeit zu checken. In der Chemie hat man dafür Technika, das sind Werkhallen mit sehr vielen Standardapparaturen (Rührwerkbehälter, Vorlagen, Zentrifugen, Trockner usw) die sich nach Produktionsbedürfnissen beliebig nach vorgedachten Konzepten verbinden lassen. In sich sind diese Apparaturen hoch automatisiert, und mit allen nur erdenklichen Zusatzvorrichtungen versehen, die aber nicht immer gebraucht werden. Diese Automatisierungsinseln werden vom Zentralrechner zu einer kleinen Produktionsstraße zusammengefasst. Die Softwarehersteller haben dafür auf ihren Rechnern sogenannte Batchmodule für die einzelnen Apparategruppen programmiert. In der Conti-Produktion gibt es so gut wie keine Stoffeingaben von Hand in den Prozess, im Technikum jedoch muss das möglich sein. Bei vielen der Apparate müssen sogar die einzelnen Produktionsschritte von Hand angestoßen werden. Hier kommen die sogenannten EX-Terminals zum Einsatz. Das sind laptopähnliche Geräte, die an den Apparaten stehen, und ein Abbild der Rohre und Behälter des Umfeldes zeigen. Die Einbindung der momentanen Partnerapparate, die vom Zentralrechner aufgeschaltet wurden, sind auch zu sehen. Der Bediener kann hier Alarme und physikalische Messwerte ablesen und, was beim Anfahren besonders wichtig ist, auch Handeingriffe tätigen. Das Wort "Ex" bedeutet, dass diese Steuereinheiten auch im Umfeld Explosiver Gase betrieben werden können. Anfang der 80er Jahre habe ich mich damit beschäftigt und Konzepte entwickelt. Coautor der Studie war Dr. K. aus UER, und für viele verfahrenstechnisch-logistische Überlegungen DI. Sta. der spätere Werksleiter von Brunsbüttel. Was heute in allen modernen Technika Standard ist, wurde anfangs der 80er Jahre nur müde belächelt. 10 Jahre später traf ich Dr. K. auf einer Fachmesse an einem Stand für EX-Terminals. Wir haben uns nur gewundert, wie man mit Visionen in unserer Firma umging. Die damaligen Chefs meinten, dass die aufkommenden PC´s nur Schreibmaschinen für ihre Vorzimmerdamen wären.
Eine harte Schule…
Das Gebäude 218 im Wuppertaler Werksbereich war die Vorzeigeproduktion im Pflanzenschutz schlechthin. Wer Werksleiter oder gar Vorstandskandidat werden sollte, musste sich hier sich beweisen. Der alles beherrschende Kopf des Gebäudes war der langjährige Obermeister Voss. Die zahlreichen jungen Chemiker, die mal Betriebsleiter in der Sparte werden wollten, wurden hier auf ihre späteren Aufgaben vorbereitet. Durch seine Hände gingen auch alle Neuentwicklungen und die personelle Ausbildungen. In seinem Büro hingen die zahlreichen Bilder aller Jungakademiker, die hier mal die Wichtigkeit eines erfahrenen Meisters lernen mussten.
Ich saß gerade in seinem Büro und besprach mit ihm die neu zu programmierende Steuerung eines Schaufeltrockners , als ein junger „auszubildender“ Jung-Chemiker das Büro betrat und sich vorstellte. Ich bin der neue 3.Betriebsleiter Dr. F. sagte er freundlich aber bestimmt. Der Meister zog die Augenbrauen hoch und holte sofort ein Foto des Werkschutzes aus seiner Schreibtischschublade , das den jungen Betriebsleiter darstellte. Mit einem Zeigestock deutete er auf einen freien Platz an der Wand zwischen den anderen vielen Bildern. Jaaa, herzlich willkommen in unserem „Laden“ zischte er prüfend. Jetzt wird sich rausstellen, ob ich später einen Trauerflor oder einen Lorbeerkranz mit Blinklicht um ihr Bild hänge. Der junge Chemiker zuckte leicht zusammen und entging der Peinlichkeit, in dem er sich schnell verabschiedete.
Diesen besagten Schaufeltrockner hatte ich nach langer Planungs- und Programmierzeit persönlich vor Ort auch in Betrieb genommen. Das Gerät war hoch automatisiert und mit vielen Überwachungssystemen ausgestattet. Es war in der Lage thermisch brisante Stoffe zu trocknen und zu mischen. Bedient wurde es wie die Steuerung einer Waschmaschine, nur liefen im Hintergrund viele sicherheitsgerichtete Einrichtungen, die für den Bediener nicht einsichtig waren. Ein großes Problem machte die Reinigung des Gerätes , das mit vielen messerartigen Schaufeln ausgestattet war, und bei Produktwechsel im geöffneten Zustand gereinigt werden musste. Das geschah immer freitags vor Schichtende, um dann am Montag wieder mit einem sauberen Gerät neu starten zu können.
Es war im Sommer an einem Freitagnachmittag. Der oben beschriebene Meister Voss rief mich im leicht ironischen Unterton an und meinte:“Ihre Elektriker stehen hier wie blöd rum und kriegen den Trockner nicht wieder zum Laufen und Montag wird angefahren!—Das sag ich ihnen!!--“ Unter den zwei Elektrikern war auch der als Provokateur bekannte stellvertretende Betriebsratsvorsitzende S. Huf…dt. Dem Meister Voss sagte ich lachend: Das löse ich einfach durch Handauflegen an der Maschine. Daraufhin hatte Meister Voss unseren Handwerkern im ironischen Ton gesagt: Gleich kommt euer Ingenieur, der macht das durch Handauflegen….Ihr Pfeifen. Meister Voss ließ für dieses zu erwartende Schauspiel 20 Mann seiner Belegschaft vor Ort antreten, und hatte ihnen Gelächter verordnet.
In der Zwischenzeit war ich die Feuerleiter an der Außenwand empor geklettert und hatte im Schaltraum den Fehler sofort gefunden. ---Hätten die Elektriker bei der Inbetriebnahme mit gemacht und sich nicht irgendwo rumverdrückt, wäre ihnen die Sicherheitskette bekannt gewesen und es wäre ihnen auch bekannt gewesen, dass diese nach der Reinigung wieder entsperrt werden musste--- Ich tat das nun und ging die Feuerleiter wieder runter. Anschließend betrat ich in den Betrieb auf normalem Wege. Als ich dann den Trocknerraum betrat kam mir eine eisige erwartungsvolle Stimmung entgegen. Unseren Elektriker S. Huf,…. dt bat ich, er solle den Trockner mit der Hand überstreichen und dabei die Worte: Simsalabim - Trockner Lauf- sagen. Er tat das, und hat mir dabei den Vogel gezeigt. Die Produktion schritt sofort zu dem Schaltkasten und drückte auf „Start“ ---oh Wunder, die Maschine lief aber wieder!--- Vor Wut schmissen die Elektriker ihre Helme auf den Boden und meinten , ich hätte sie jetzt herrlich blamiert. Die Sache hatte aber ihre Wirkung: Bei der nächsten Inbetriebnahme waren diese Herren helfend dabei.
Leider hat sich das Gebäude 1998 durch eine Fehlbedienung weggesprengt.
Woher Zulieferfirmen ihre Geräteentwicklungen haben…
Die Produktion brauchte dringend eine Kleinstmengen-Universaldosieranlage für hochaggressive Flüssigkeiten in Teewagengröße, wobei die stoffberührenden Teile aus Titan sein mussten. Pumpe, Ventile und Durchflussmesser wurden beschafft, was fehlte waren die Verrohrung und die Verdrahtung sowie die el. Mengensteuerung. Nachdem ich noch die Pläne erstellt hatte, war das Gerät eigentlich fertigungsreif. Doch keiner wollte so einen Prototyp bauen. Meine letzte Rettung war ein junger Unternehmer vom Niederrhein Michael S.. Er entnahm mir ein stolzes Sümmchen von 40000,-DM mit dem Kommentar: „Das kann ich sowieso nicht nochmal verkaufen. Entweder du zahlst oder wir lassen es“. Nachdem das Gerät geliefert war, wollte der Betrieb es sofort gebrauchen. Aber nichts klappte. So stand ich wieder in der Produktion und musste den Murks anderer Leute reparieren. Der Unternehmer lud mich zur Entschädigung zum Essen ein, und zeigte mir seine neue Produktion. Auf dem Rückweg zum Büro gingen wir an einer langen Reihe von mir doch sehr bekannten Messwagen vorbei, die vom Konzept her mein geistiges Eigentum, und somit auch das meiner Firma war. Meine erstaunten Bemerkungen quittierte er mit den Worten: Das Geschäft mit den Messwagen läuft gut. Da ich zu Michael S. gute Geschäftsbeziehungen pflegte, wartete ich auf die nächste Gelegenheit, um mich zu revangieren. Der Zeitpunkt kam schneller als gedacht. Mechanische Meßwerterfassungssysteme für Durchflußmesser wurden abgelöst durch elektrische, nur es fehlten halt Konzepte für die praxisgerechte Umsetzung im EX-Bereich * . Wir brauchten das eigentlich auch dringend, und so saß ich auch wieder mit dem jungen Unternehmer am Tisch und entwickelten Konzeptlösungen. Ein Jahr passierte nichts, doch dann stand er mit einem fertigen Gerät grinsend in der Tür. Wo hast du denn so schnell die ptb* Bescheinigung für den Ex-Bereich her? Entfuhr es mir. Ich war beim Bergamt*, und habe mit 2000,-DM nachgeholfen, du weißt ja was ich meine, sagte er mir augenzwinkernd. Er reichte mir stolz die Bescheinigung rüber, und schaute mich und meinen Mitarbeiter fragend an. Nachdem ich die ersten Seiten überflogen hatte , schob ich ihm das Papier grinsend zurück mit dem leicht ironischen Kommentar: Ein Schuss in den Ofen, können wir sooo nicht gebrauchen. „Weißt du, wie viel Geld ich darein gesteckt habe, und dann noch das Schmiergeld?“ Im Hinterkopf aber hatte ich noch die Messwagen Geschichte und die noch offene Abrechnung mit ihm. Grinsend sagte ich: „Schau dir mal das schöne Wetter an, wir sollten uns eine kleine Auszeit nehmen, und uns bei einem Sternekoch mal so richtig verwöhnen lassen“. Die Sache schlug ihm mächtig auf den Darm, und so hatten wir in der Zwischenzeit die Möglichkeit, die entsprechenden Vorschriften rauszusuchen. Nun saßen wir doch bei dem Sternekoch in Neviges und ließen es uns schmecken. Mein Bürokollege und ich hatten uns fest vorgenommen, erst nach dem letzten Menü ihm die mitgebrachten Unterlagen zu zeigen. Nachdem der Zeitpunkt gekommen war, zeigten wir die entsprechenden Passagen in den Vorschriften. Als er die Sache dann eingesehen hatte, ging die wilde Sauferei los, die darin endete, dass zwei Fahrer aus seiner Firma uns abholen mussten.
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*Erklärung: Ex-Bereich = Explosionsgefährdeter Raum durch Gase oder Stäube. Die darin
befindlichen el. Geräte benötigen eine spezielle Zulassung gegen Brand und Explosion z.B. der
„physikalisch technischen Bundesanstalt in Braunschweig“; kurz: ptb genannt. Das Bergbauamt konnte das auch bescheinigen.
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Kleine Episode am Rande....
Mit kleinen gesundheitlichen Wehwehschen kam ich in die Firma. Seit 10 Jahren hatte ich eine chronische Magenschleimhautentzündung der heftigsten Art, und seit der Kupferhüttenzeit einen Fußpilz, der sogar meine Schuhe auflöste.
Alles hatten meine Ärzte versucht, von Aluminiumpräparaten für den Magen, und Schwefelpulver für die Füße. Kurz gesagt: Nichts half. Als ich mit der Betriebsbetreuung anfing, waren zwei Betriebe, unter anderen, meine Betreuungsobjekte. Hier wurden Wirkstoffe wie Canesten (Hochwirksames Fußpilzbekämpfungsmittel) und Binotal (Penicillin) hergestellt. Dass die Wirkstoffe unserer Firma auch wirkten, machte sich als erstes bei meinem Fußpilz bemerkbar, er war nämlich nach ein paar Wochen einfach verschwunden und kam nie wieder. Das war auch meinem Arzt verständlich. Bei meiner Magenschleimhautentzündung, die auch nach einiger Zeit verschwand, konnte man sich das mit den damaligen ärztlichen Kenntnissen nicht erklären. Erst Jahre später, nach Entdeckung der Helicobacter-Bakterien, wurde mir die wundersame Heilung meiner Magenerkrankung klar -- Penicillin-Contamination im Binatalbetrieb --. Obwohl ich nie eine Penicillinresistens hatte, bekam ich immer Hautveränderungen im Gesicht, wenn ich in diesem Betrieb gearbeitet hatte.